Archive für 8.9.2010

Palliativpflege oder freier Wille

Seit die aktive Sterbehilfe wieder intensiver diskutiert wird, bringen die Sterbehilfegegner die Palliativpflege sowie Sterben als Prozess (…wenn Sterben zum Leben wird…), z.B. im Hospiz, stärker als Alternative dazu in Position.

Wenn wir die Sachlage mal genauer betrachten, fällt erstmal eine gewisse Bevormundung ins Auge. Sowohl Gegner wie auch Befürworter der Sterbehilfe stammen zwar aus verschiedenen Lagern, allerdings seltenst aus dem Lager der Betroffenen. Somit werden hier Tatsachen von Lobbyisten des einen oder anderen Lagers geschaffen, ohne den Betroffenen das Gewicht und den Status einzuräumen, das sie verdienen. Parallelen zum Jugendschutzgesetz erkennt man auf den ersten Blick, nur sind die, um die es hier geht, i.d.R. mündig und fast immer erwachsen. Nicht selten lebten sie länger als einige der Entscheidungsträger. Sie arbeiteten, zahlten Steuern, gründeten eine Familie und erlebten das eine oder andere. So oder so, haben die meisten im Lauf ihres Lebens gelernt, Entscheidungen zu treffen. Und genau dieses Merkmal eines freien und mündigen Bürgers wird einem Menschen in einer Notlage oder am Ende seines Lebens versagt.

Natürlich sind viele aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage, aktiv und über einen längeren Zeitraum hinweg an politischen oder juristischen Prozessen teilzuhaben. Aber die entscheidene Frage, ob sie ihre biologischen Vitalfunktionen weiter fortsetzen möchten oder nicht, könnten sie alle kurz und klar mit einem „ja“ oder „nein“ selbst beantworten. Warum sie so entscheiden, wie sie dann entscheiden, ist eine andere Frage, aber für alle anderen ohne Relevanz. Jeder sollte einem Todkranken, der sein Leben nicht mehr weiter zu führen entschieden hat, soviel Respekt gegenüber aufbringen, dass er die Entscheidung akzeptiert, so wie sie gefallen ist.

Schnell stellt man aber fest, dass dem nicht so ist. Zahllose Gruppierungen, nicht zuletzt die Kirchen, überbieten sich beim Auflisten der Contra-Sterbehilfe Gründe gegenseitig. Unter dem Strich lassen sie sich alle zum (christlichen) Dogma zusammenfassen, das einen Freitod als Sünde* einordnet, erst recht die Tötung auf Verlangen.

Letzteres kann ich sogar verstehen und unterstütze es - wenn auch aus wahrscheinlich anderen Gründen. Das wäre aber irrelevant, wenn man dem Lebensunwilligen zuverlässige und zivilisierte Freitodmöglichkeiten bieten würde. Technisch und organisatorisch im 21. Jahrhundert wahrlich kein Problem mehr. In Zeiten, in denen die Steuerung des Umfelds mit den Augen möglich ist, und Computern als modernem Äquivalent eines Butlers bekommt ein „EXIT“ Knopf dann eine ganz neue Bedeutung…

Ich habe mein Leben nach dem Motto „Die persönliche Freiheit eines Menschen endet da, wo sie die persönliche Freiheit eines anderen berührt“ gelebt und würde es begrüßen, wenn ich auch an meinem Lebensende weiter so verfahren könnte - inkl. der Entscheidung, ob ich einen Knopf drücke oder nicht!

PS: Eine Sicherheitsabfrage im Stil von „Sind Sie sicher, dass…“ sollte reichen… ;-)

PPS: Na gut - zwei.

*) Gestern sah ich im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen im Kontext einer Sendung zu den Anschlägen vom 11. September in den USA, wie Menschen sich aus den Fenstern des „World Trade Center“ in den sicheren (Frei-)Tod stürzten, um einem Tod durch Ersticken oder Verbrennen zu entgehen.

Da drängte sich mir sofort die Frage auf, ob sie deswegen nachträglich aus der Kirche ausgeschlossen worden sind oder exkommuniziert wurden.

Ich möchte lieber daran glauben, dass die Kirche(n) ohne großes Aufheben darum zu machen, die freie Willensentscheidung der Todeskandidaten über ihre Dogmen stellten, und recherchiere dahingehend nicht weiter.
PPS: Ich denke, dass sich unterm Strich die „oder“- Frage nicht stellt.
Die Palliativpflege ist m.E. unverzichtbarer Bestandteil eines zivilisierten Gesundheitssystems.
Um dem ganzheitlichen Konzeptanspruch, den die Befürworter der Palliativpflege gerne für sich reklamieren, gerecht zu werden, fehlt mir allerdings die Möglichkeit, zu wählen. Mit der Aufnahme der Freitodmöglichkeiten in das Konzept der ganzheitlichen Pflege wäre die Palliativpflege wirklich konsequent zu Ende gedacht und vollständig!

Allen, denen der Gedanke daran zu reaktionär ist, empfehle ich, sich einmal ein paar Jahre zurück ins World Trade Center zu begeben und die Selbstmordkandidaten davon zu überzeugen, sich verbrennen zu lassen statt zu springen.

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